Der EY Bankenbarometer 2020 zeigt: Tiefzinsen sowie die lauernde Konkurrenz der Fintech-Startups stellen das Geschäftsmodell der Banken in Frage. Kurzfristig heisst das Rezept mehr Kosteneffizienz – langfristig mehr Kundennähe und nachhaltige Produkte.

Lange fuhren Banken satte Margen ein. Doch die vergangenen Jahre mit tiefen und gar negativen Zinsen machen sich nun bemerkbar: Die Banken erwarten, dass ihre Gewinne einbrechen. „Die ultraexpansive Geldpolitik der Notenbanken hat die Weltwirtschaft vor dem Kollaps gerettet, aber nun sehen wir die Konsequenzen“, sagt Patrick Schwaller, Managing Partner, Audit Financial Services bei EY Schweiz. Billiges Kapital sorgt für geringe Zinsunterschiede zwischen kurz- und langfristigen Krediten und lässt so die Margen im traditionellen Kreditgeschäft dahinschmelzen. „Zusammen mit den geopolitischen Unsicherheiten und der Sorge um eine abkühlende Konjunktur sorgt das für ein schwieriges Umfeld“, erklärt Schwaller. „Die Banken sind pessimistischer geworden, was ihre Zukunft angeht.“

Das zeigen die Ergebnisse des EY Bankenbarometers 2020, das auf Interviews mit 100 Führungskräften aus der Finanzbranche basiert, deutlich. Ein Drittel der Banken rechnet mit einem mittel- und langfristigen Gewinnrückgang – im Bankenbarometer 2019 waren es noch 22 bzw. 16 Prozent. Ein Grund für diesen Stimmungseinbruch ist gemäss Schwaller, dass ab 2020 viele gut- und festverzinste Hypotheken aus der Zeit vor der Finanzkrise auslaufen und durch kaum rentable Tiefzinskredite ersetzt werden. „Regional- und Kantonalbanken werden dies besonders spüren“, weiss Patrick Schwaller.

Gebühren sind auch keine Lösung

Die Aussichten auf das magere Zinsgeschäft führen dazu, dass Banken das Interesse an traditionellen Sparkunden verlieren. 68 Prozent der befragten Institute sind an Neukunden aus dieser Sparte wenig oder gar nicht interessiert. Zugleich steigt die Bereitschaft, die Negativzinsen, von welchen bisher erst Grosskunden betroffen sind, auch an Kleinsparer mit Einlagen unter 100’000 Franken weiterzugeben. Gerade noch 21 Prozent der Banken schliessen kategorisch aus, diese Schwelle zu unterschreiten – gegenüber 70 Prozent im letztjährigen Bankenbarometer. Dieser drastische Stimmungsumschwung wird sich gemäss Olaf Toepfer,  Leiter Banking & Capital Markets bei EY Schweiz jedoch nicht so bald in der Realität widerspiegeln: „Wir vermuten, dass die Banken die Negativzinse eher in Form von Gebühren und Spesen an Kleinkunden weitergeben.“

Gebühren und Kommissionen sind die zentrale zweite Einnahmequelle im traditionellen Bankgeschäft. Trotzdem werden die Banken gemäss EY Bankenbarometer nicht versuchen, das schwindende Zinsgeschäft damit aufzuwiegen. Im Gegenteil: 83 Prozent erwarten, dass die Gebühren künftig sinken werden. Grund dafür ist laut Olaf Toepfer die neue Konkurrenz aus der Tech-Industrie, die sogenannten Fintechs, die den Zahlungsverkehr digitalisiert und Transaktionen damit verbilligt. „Diese Neobanken graben den etablierten Playern zwar nicht nennenswertes Kapital ab“, so Toepfer, „aber sie zwingen sie dazu, mit Angeboten gleichzuziehen.“

Fundamentaler Wandel

Was bleibt noch, wenn Zinsen und Gebühren wegschmelzen? Das EY Bankenbarometer 2020 zeigt, dass die Banken den Ernst der Lage erkennen. 88 Prozent der Banken glauben, dass in ihrer Industrie ein fundamentaler Strukturwandel begonnen hat. „Heute erkennt das Bankkader erstmals, dass es sich grundlegend Gedanken um sein Geschäftsmodell machen muss“, stellt Olaf Toepfer fest. Eine erste Reaktion der besonders betroffenen Kantonal- und Regionalbanken ist die Expansion in den Wachstumsmarkt Vermögensverwaltung, wo die optimistischer gestimmten Privat- und Auslandsbanken als Platzhirsche agieren. „Wir erwarten, dass die Summe dieser Ambitionen kleiner ist als das Potential“, erklärt Toepfer, „nicht alle werden den Einstieg schaffen.“ Zweitens drehen die Banken bei den Ausgaben an der Schraube. 39 Prozent sehen 2020 Kostensenkungen als Schwerpunkt. Im Vorjahr waren es auch schon 32 Prozent – Sparübungen laufen nämlich schon seit der Finanzkrise.

Auf die lange Sicht werden Banken ihren gewohnte Pfade verlassen müssen, um ertragreich zu bleiben. 83 der angefragten Banken sind der Meinung, dass sie künftig neue Ertragsquellen erschliessen müssen. Für 60 Prozent der Banken liegt der Schlüssel in einer grösseren Nähe zum Kunden – bloss 19 Prozent glauben an eine Lösung über neue Produkte. „Die traditionelle Bankenindustrie ist fundamental produktorientiert“, erklärt Olaf Toepfer. „Sie geben den Kunden Broschüren mit, seine wirklichen Bedürfnisse kennen sie jedoch zu wenig.“

Silberstreif am Horizont

Ein Beispiel für Kundenbedürfnisse sind nachhaltige Anlagen. 81 Prozent der angefragten Banken sind sich darin einig, dass es bei diesen Anlagewünschen um keine Modeerscheinung handelt, sondern um einen langfristigen Trend. Keine Überraschung ist deshalb, dass 70 Prozent ihr Angebot dergestalt ausweiten wollen. In der Realität hinken die Banken diesem Bedürfnis aber noch hinterher, wie das EY-Barometer zeigt: Nur bei rund 30 Prozent der Banken sind nachhaltige Anlagen Pflichtbestandteil der Beratung. Olaf Toepfer glaubt zwar, dass die Banken lernen werden, den Kunden einen Mehrwert zu bieten. „Die Schwierigkeit liegt darin, diesen zu monetarisieren“, sagt er. „Niemand bezahlt heute für eine schicke App.“

Zum Schluss hält das EY Bankenbarometer nochmals eine Überraschung bereit: Trotz der getrübten Aussichten in der kurzen und mittleren Frist sind 61 Prozent der Banken davon überzeugt, die Tech-Konkurrenz zu schlagen und als Gewinner aus dem Strukturwandel hervorzugehen. „Derzeit ist das noch eine Diskrepanz zur Realität“, sagte Olaf Toepfer, „noch haben die Banken ihre Herausforderung nicht gemeistert“ Und trotzdem sieht auch er gute Chance für die herkömmlichen Player: „Noch haben die Banken – im Gegensatz zur Startup-Konkurrenz – genügend Geld, um langfristig zu investieren und sich neue Geschäftsfelder aufzubauen.“