Bei Übertragungen von Teilbetrieben soll der Käufer für MWST-Schulden des Verkäufers haften und in dessen Steuerpflicht eintreten. Die Konsequenzen bei Unternehmenstransaktionen sind aktuell noch schlecht abschätzbar.
Im Urteil 2C_923/2018 vom 21. Februar 2020 setzte sich das Bundesgericht («BGer») mit der Frage der «partiellen Steuersukzession» bei der Übertragung von Assets zwischen verschiedenen Steuersubjekten auseinander und kippte das vorgängige Urteil des Bundesverwaltungsgerichts («BVGer») A-5649/2017. Dadurch stellen sich sowohl für zukünftige als auch bereits durchgeführte Asset Deals neue steuerliche Haftungsfragen.
Unternehmensübertragung / Asset Deal
Unternehmensübertragungen in Form von Asset Deals sind (Ver-)Käufe von einzelnen Aktiven und Passiven, die eine betriebswirtschaftliche Einheit bilden. Hierbei wird ein (Teil-)Unternehmen – oder, in der Terminologie der direkten Steuern, ein Teilbetrieb – aus einer Gesellschaft herausgelöst. Bei einem Share Deal, der anderen Möglichkeit für Unternehmenstransfers, werden direkt die Anteilsrechte einer Gesellschaft gekauft. Die dahinterstehenden Vermögenswerte sowie Steuerpflichten gehen daher bei einem Share Deal mit der gesamten Gesellschaft indirekt auf den neuen Aktionär über. Beim Asset Deal galt bisher jedoch: Bis auf wenige spezifische Ausnahmen wie insbesondere die komplette Unternehmensübernahme mit allen Aktiven und Passiven oder Immobilienübernahmen, musste sich der Käufer nicht mit den historischen MWST-Risiken des Verkäufers befassen – zumindest solange der Verkäufer weiterhin als Steuersubjekt nach dem Verkauf weiterbestand. War die sogenannte steuerliche Due Diligence («DD») zentraler Bestandteil eines Share Deals, wird sie es nun auch beim Asset Deal. Die drohende partielle Steuersukzession macht den Käufer bzw. Übernehmer eines Teilunternehmens zur Steuernachfolgerin des abgespaltenen Betriebs für alle nicht verjährten MWST-Perioden.
Sachverhalt Urteil 2C_923/2018
Die ESTV führte bei dem Taxiunternehmen B. GmbH eine Mehrwertsteuerkontrolle durch und stellte fest, dass die deklarierten Umsätze im Vergleich zu den Treibstoffausgaben sehr gering waren und nahm eine Ermessenseinschätzung vor. Zwischenzeitlich hatte die B. GmbH einen Vertrag mit ihrer Schwestergesellschaft A. GmbH abgeschlossen, um auf diese fünf Fahrzeuge sowie Taxilizenzen zu übertragen. Die B. GmbH sollte fortan nur noch einen Limo-Service betreiben, währenddem die A. GmbH das Taxi Geschäft übernehmen sollte. Unter den bei der B. GmbH verbleibenden Fahrzeugen war jedoch keine geeignete Limousine.
Über die B. GmbH wurde kurze Zeit später Konkurs eröffnet. Das Betreibungsamt konnte bei ihr jedoch keine Aktiven mehr aufspüren, die verbliebenen Fahrzeuge waren alle auf die A. GmbH übergegangen. Die ESTV, welche ebenfalls die B. GmbH betrieben hatte, hat darauf die A. GmbH zur Zahlung der Schulden der mittlerweile liquidierten B. GmbH aufgefordert, weil die A. GmbH schliesslich das Unternehmen der B. GmbH übernommen habe und somit nun an deren Stelle trete. Die A. GmbH gelangte darauf ans BVGer und hielt fest, dass die B. GmbH nach der Vermögensübertragung an sie weiterhin bestanden hätte und somit, durch das Fortbestehen dieses ursprünglichen Steuersubjekts bzw. der übertragenden Gesellschaft, keine Grundlage bestehe, die A. GmbH für historische Steuerschulden der B. GmbH zu belangen. Die Beschwerde wurde gutgeheissen, da gemäss dem BVGer für eine Steuersukzession notwendig gewesen wäre, dass die B. GmbH etwa zeitgleich mit dem Vollzug des Asset Deals als Steuersubjekt untergegangen wäre. Die ESTV hat in der Folge das Verfahren ans BGer weitergezogen, welches eine haftungsrechtliche Pandora Büchse geöffnet hat: Das BGer hielt in untypisch klarer Sprache fest, dass selbst wenn die B. GmbH fortbestanden hätte, eine partielle Steuersukzession stattgefunden hätte. So hätte auch bei Fortbestand der B. GmbH die A. GmbH insoweit für die Mehrwertsteuerschulden der B. GmbH geradestehen müssen, wie diese auf die von der A. GmbH übernommenen Vermögenswerte zurückzuführen sind. Es sei im Zweifelsfall eine Ausscheidung notwendig, um zuzuordnen, welche Mehrwertsteuerschulden auf welchen Vermögenswerten lasten.
Partielle Steuersukzession / Direkte Steuern
Dass auch bei Fortbestehen des Verkäufers in einem Asset Deal dessen MWST-Schulden bzw. unbeschränkte Rechte und Pflichten des übernommenen Teilbetriebs auf den Erwerber übergehen können, läuft zumindest einem Teil der Lehre zuwider. Es weitet insbesondere den Geltungsbereich von Art. 16 Abs. 2 MWSTG markant aus und führt in Abhängigkeit der konkreten Umsetzung durch die ESTV dazu, dass bei noch nicht verjährten Teilbetriebsübernahmen die Übernehmerin unwissentlich in die Rechte und Pflichten der Übertragenden eingetreten ist. Dies bedeutet, dass die sogenannte partielle Steuersukzession auch retrospektiv Anwendung findet. Dabei geht es nicht um eine solidarische Mithaftung des Erwerbers, sondern um ein uneingeschränktes Eintreten in die Steuerpflicht der Übertragenden bezogen auf den erworbenen Teilbetrieb.
Das ausgeführte Urteil ist auf die Anwendung des MWST-Rechts beschränkt. Es bleibt zu klären, welche Folgen dieser Paradigmenwechsel für andere Steuerarten haben könnte. Direktsteuerliche Folgen bei einem Asset Deal – Spezialfälle ausgenommen – ergaben sich bis anhin i.d.R. auch nur bei Untergang des übertragenden Steuersubjekts (Vgl. Art. 53 Abs. 4 DBG). Diese Ausführungen zur Steuersukzession gelten sowieso nur für Asset Deals zwischen juristischen Personen, weil eine natürliche Person nicht «untergehen», sondern höchstens sterben kann, worauf ihre Erben durch Universalsukzession auch ihre Steuerschulden übernehmen (Vgl. Art. 12 Abs. 1 DBG und Art. 16 Abs. 1 MWSTG).
Offene Fragen
Das Urteil wirft rechtliche und praktische Fragen auf, die nun zeitnah geklärt werden müssen. Dazu gehören unseres Erachtens insbesondere:
- Wer kann sich auf das Urteil berufen? Nach dem Urteil kann die ESTV Steuerforderungen gegenüber der übernehmenden Gesellschaft geltend machen. Fraglich ist, inwiefern das übertragende Steuersubjekt sich auf die partielle Steuersukzession berufen kann bzw. muss und inwiefern Art. 15 Abs. Abs. 1 lit. d MWSTG (Mithaftung der Übertragenden) zur Anwendung kommt.
- Wie läuft die Koordination von MWST-Prüfungen ab? Gehen die Risiken auf die Käuferschaft über und wird bei der Verkäuferin eine MWST-Kontrolle durchgeführt, ist fraglich, inwiefern die Prüfung der übertragenen Assets bei der Verkäuferin überhaupt vorgenommen werden darf.
- Inwiefern wird das obligatorische Meldeverfahren vom Urteil beeinflusst? Damit die ESTV eine Übersicht über abgewickelte Vermögensübertragungen und damit verbundene Steuersukzessionen erhält, muss sie zeitnah über die Übertragungen informiert werden. Die Unterscheidung zwischen freiwilligem und obligatorischem Meldeverfahren erhält erhöhte Bedeutung.
- Wie gestalten sich in der Praxis Zugriffe der ESTV auf Steuerpflichtige, falls Teilbetriebe während der Verjährungsperiode mehrfach– allenfalls vermischt mit neuen Teilbetrieben – übertragen wurden?
- Wie muss die MWST-Pflicht des Teilbetriebs vor der Abspaltung oder dem Verkauf nachträglich vom übertragenden Betrieb entkoppelt werden? Wie ist diese Entkoppelung beweisfest zu dokumentieren?
- Wie werden zukünftig MWST DDs ausgestaltet? Wie erwähnt konnte man bei Asset Deals bis anhin grösstenteils auf eine steuerliche DD verzichten, solange man sicherstellte, dass der Verkäufer nicht kurz darauf untergehen würde. Historische steuerliche Risiken und Opportunitäten blieben per se das Problem des Verkäufers. Wenn nun partielle Steuersukzessionen bei jedem Asset Deal möglich sind, hat der Käufer ein Interesse, genau hinzuschauen, welche historischen Steuerrisiken er sich einkauft. Zeitgleich möchte dies wohl auch ein vorbildlicher Verkäufer, denn ohne Offenlegung seiner Compliance wird er entweder gravierende Kaufpreisreduktionen für ein erhöhtes Risiko oder aber nachteilige Absicherungsklauseln im Kaufvertrag hinnehmen müssen. Dem zugrunde liegt auch die Problematik, dass eine steuerliche DD (wie jede andere Prüfhandlung) primär die Transaktionskosten erhöht und erst sekundär das Risiko mindert.
English version
VAT: Federal Supreme Court opens door for partial tax liability successions
In transfers of business units, the buyer shall be liable for VAT-debts of the seller and assume its tax position. The consequences for asset deals are not yet fully clear.
In decision 2C_923/2018 dated 21 February 2020, the Federal Supreme Court («FSC») has analyzed the matter of partial tax liability succession in transfers of assets between different taxpayers, thereby overruling the prior verdict of the Federal Administrative Court (“FAC”) A-5649/2017. As a result, several questions regarding the treatment of tax liability in future as well as past asset deals arise.
Business Transfer / Asset Deal
Business transfers in the form of asset deals are acquisitions / sales of a collection of assets and liabilities forming an economic unit respectively a business unit. Through this, a business unit is being bought out of an existing entity. In a share deal, the other possibility for business transfers, the respective title (shares) to the business (legal entity) are being bought directly. The underlying assets and (tax) liabilities are hence indirectly transferred to the acquiror in a share deal, alongside the legal entity bought. So far, it was widely accepted that the buyer in an asset deal would generally not have to worry about historic VAT risks of the sellers where the seller continued to exist as a tax payer after the transaction. This was true except for certain specific deal structures, such as particularly the transfer of all assets and liabilities from a business or real estate transfers. Whereas a so-called tax due diligence (“DD”) has always been a crucial part of share deals, it is now also becoming one in asset deals. Any acquiror of a business unit thorough an asset deal risks becoming liable for the VAT of the seller for non-lapsed VAT periods due to partial tax liability succession
Case Summary Decision 2C_923/2018
The SFTA performed a VAT audit at the taxi company B. GmbH and noticed that its declared turnover was very low in comparison to its fuel expenses and thus performed a discretionary assessment. Meanwhile, B. GmbH had entered into a contract with its sister company A. GmbH to transfer five vehicles and taxi licenses to the latter. B. GmbH was henceforth only going to operate a limousine service, while A. GmbH was to take over the taxi business. There was however no suitable limousine among the vehicles remaining at B. GmbH.
Shortly after, B. GmbH was declared bankrupt. The debt enforcement office was however unable to identify any assets at B. GmbH as the remaining vehicles had all been transferred to A. GmbH. The SFTA, having tried to collect its VAT debt from B. GmbH in vain, has subsequently requested A. GmbH to pay the debts of B. GmbH, which had meanwhile been liquidated. The SFTA argued that A. GmbH had taken over B. GmbH’s business and was hence assuming its position in the debt collection process. A. GmbH subsequently appealed to the FAC asserting that B. GmbH had continued to exist after the transfer of its assets and that there was hence, due to the continued existence of the original tax payer respectively the transferor, no legal basis to prosecute A. GmbH for historic tax debts of B. GmbH. The FAC ruled in favor of the appeal, arguing that it would have been necessary for B. GmbH to go under as a tax payer more or less contemporaneously with the execution of the asset deal for a tax succession to take place. Following this defeat, the SFTA brought the case to the FSC, which opened a Pandora’s box with regard to tax liability law: The FSC stipulated in uncharacteristically clear language that even if B. GmbH had continued to exist after the asset deal, a partial tax succession would have taken place. Accordingly, the FSC held A. GmbH liable for B. GmbH’s VAT debt, to the extent that this debt is associated with the assets transferred from B. GmbH. In case of doubt, an allocation of the VAT debt to the underlying individual assets would have to be performed.
Partial Tax Liability Succession / Direct Taxes
The fact that even upon continued existence of the seller in an asset deal, its VAT liabilities, respectively unlimited rights and obligations of the business unit transferred, can be passed along to the acquiror goes against at least part of the current scholarly opinion. In particular, it significantly extends the area of validity of Art. 16 sec. 2 of the VAT Act and – depending on the SFTA’s concrete implementation – leads to acquirors in non-lapsed business unit transfers having unknowingly assumed rights and obligations of the seller. This means that the partial tax liability succession can also be applied retrospectively, which is not about a joint and several liability, but about an unlimited assumption of the tax liability of the transferor with regard to the business unit transferred.
The above-described verdict is restricted to the application of VAT law. It remains to be analyzed, which consequences this paradigm shift can have for other taxes. For direct tax purposes, asset deals have generally also only tended to have tax consequences – notwithstanding particular exceptions – if the transferring tax payer ceased to exist (Art. 53 sec. 4 Direct Federal Tax Act (“DFTA”)). These elaborations on tax liability succession are in any case only valid for asset deals between legal entities as individuals cannot per se “go under”, but only die, in which case they are succeeded by their heirs, who also inherit their tax liabilities through universal succession (Art. 12 sec. 1 DFTA and Art. 16 sec. 1 VAT Act).
Open Questions
The verdict poses legal and practical questions, which should be answered as soon as possible. In our view, these are in particular:
- Who is entitled to call upon this decision? According to the verdict, the SFTA can claim liabilities from the transferee in an asset deal. It is to be analyzed to which extent the transferring tax payer can / must call upon partial tax liability succession and to which extent Art 15 sec. 1 lit. d of the VAT Act (joint and several liability of the transferor) is applied.
- How are VAT audits coordinated? In case the risks are transferred to the buyer and an audit is performed at the seller, it is questionable to what extent the assets of the buyer can even be scrutinized.
- How is the mandatory notification procedure affected by the ruling? For the SFTA to gain insight into the asset transfers executed and the associated tax liability successions, it must be swiftly informed of those transactions. The distinction between the voluntary and the mandatory notification procedure for VAT purposes thus gains significance.
- How do debt enforcements by the SFTA take place form a practical perspective, if business units have been transferred more than once – perhaps even reshuffled with other business units – within the statute of limitation?
- How does the VAT duty of the business unit prior to its separation / sale have to be untangled from the transferring entity, after the sale has already taken place? How can this disentanglement be properly documented to suffice respective standards of prove?
- How will VAT DDs look in the future? As laid out above, it was previously possible to largely forgo a tax DD in asset deals, if it was ensured that the seller would not go under soon after the deal. Historical tax risks and opportunities per se remained the problem of the seller. If partial tax liability successions are now possible in every asset deal, the buyer has an interest to examine closely, which historical tax risks he is buying into. Meanwhile, even a compliant seller would likely embrace such scrutiny, since without demonstrating his compliance, he will either have to accept significant purchase price reductions or unfavorable indemnities in the purchase agreement. At the bottom of this lies the conundrum that a tax DD (like any action of diligence) primarily increases transaction costs and only secondarily mitigates risk.