Mit Wirkung vom 1. Januar 2021 hat die Eidgenössische Steuerverwaltung ihre Praxis zur Ortsbestimmung für Dienstleistungen im Bereich der internationalen Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe angepasst.
Dabei wird der Ort für diese Dienstleistungen insoweit neu geregelt, als sie an gemeinnützige Organisationen erbracht werden. Für international tätige Organisationen kann dies zu erheblichen Mehrwertsteuerentlastungen führen.
Mehrwertsteuerliche Rahmenbedingungen gemeinnütziger Organisationen
Gemeinnützige Institutionen sind in der Regel nicht ins Register der Mehrwertsteuerpflichtigen eingetragen. Folglich haben sie keine Möglichkeit, ihnen fakturierte Mehrwertsteuer (Inlandssteuer) als Vorsteuer zurückzufordern. Organisationen, die insbesondere internationale Entwicklungsprojekte fördern und unterstützen, haben zudem regelmässig spezifische aus dem Ausland bezogene Dienstleistungen der Mehrwertsteuer in Form der Bezugsteuer zu unterwerfen. Sowohl die fakturierte Inlandssteuer als auch die Bezugsteuer wird für nicht mehrwertsteuerlich Registrierte zum Kostenfaktor.
Ortsbestimmungsregelungen und ihre Tragweite
Leistungen unterliegen allerdings nur insoweit der schweizerischen Mehrwertsteuer, als sie mehrwertsteuerlich in der Schweiz erbracht gelten. Dies gilt sowohl für die Inlands- als auch für die Bezugsteuer. Vor diesem Hintergrund kommen den gesetzlichen Regelungen zur Definition des Leistungsorts sowie der entsprechenden Verwaltungspraxis der ESTV wesentliche Bedeutung zu.
Grundsätzlich gelten Dienstleistungen mehrwertsteuerlich dort erbracht, wo der Empfänger der Dienstleistungen seinen Sitz hat (allgemeines Empfängerortsprinzip des Art. 8 (1) MWSTG). Dies gilt allerdings nur insoweit, als das Mehrwertsteuergesetz keine spezifischere Ortsbestimmungsregelung formuliert. Art. 8 (2) Bst. g MWSTG definiert Dienstleistungen im Bereich der internationalen Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe als an dem Ort erbracht, für den sie bestimmt sind (Bestimmungsortsprinzip).
Lieferungen von Gegenständen folgen eigenen Ortsbestimmungsregelungen, deren Auslegung keine Änderung erfahren hat.
Alte und neue Verwaltungspraxis der ESTV
Die ESTV hat die Ortsbestimmungsregelung des Art. 8 (2) Bst. g MWSTG bislang sehr restriktiv ausgelegt und nur auf Dienstleistungen angewendet, die ursprünglich von einer Bundesstelle in Auftrag gegeben wurden.
Eine originäre Auftragserteilung durch den Bund ist nach neuer Verwaltungspraxis der ESTV nicht länger erforderlich. Vielmehr fallen neu auch gegenüber gemeinnützigen Organisationen erbrachte Dienstleistungen im Bereich der internationalen Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe unter die Ortsbestimmung des Art. 8 (2) Bst. g MWSTG, sofern die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
- Die auftraggebende Institution verfolgt einen gemeinnützigen Zweck
- Die Leistung betrifft ein konkretes Projekt und bezieht sich auf ein vordefiniertes Land
- Das Projekt entspricht der Definition der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe gemäss Bundesgesetz vom 19. März 1976 über die internationale Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe
- Das Projekt darf weder direkt noch indirekt den unternehmerischen Bereich des wiederkehrenden Geldgebers fördern oder unterstützen – unschädlich sind dagegen Bekanntmachungsleistungen, die gegenüber dem Geldgeber erbracht werden
Sind diese Voraussetzungen kumulativ erfüllt, gelten die entsprechenden Dienstleistungen gemäss Bestimmungsortsprinzip als dort erbracht, wo die gemeinnützige Organisation das entsprechende Entwicklungsprojekt unterstützt, häufig also um Ausland. Die von gemeinnützigen Organisationen bezogenen Leistungen unterliegen folglich weder der Inlands- noch der Bezugsteuer – definitive Mehrwertsteuerkosten auf Ebene der Organisation entstehen nicht.
Zeitliche Wirkung der Praxisänderung und Handlungsbedarf
Änderungen der bestehenden Verwaltungspraxis der ESTV können Steuerpflichtige rückwirkend für alle noch nicht rechtskräftigen Steuerperioden anwenden.
Vor diesem Hintergrund empfehlen wir gemeinnützigen Organisationen, die im Bereich der internationalen Entwicklungszusammenarbeit tätig sind, zu prüfen, ob und in welchem Umfang sie von der neuen Verwaltungspraxis profitieren können.