Welche Auswirkungen hat Covid-19 auf die staatliche Schuldenquote und auf die Digitalisierung in den Unternehmen und Verwaltungen? Reformen, die mittel- bis langfristig den Wirtschaftsstandort stärken und die Wohlfahrt in der Schweiz sicherstellen, müssen nun rasch vorangetrieben werden. Eine Auslegeordnung von Daniel Gentsch, Leiter Steuer- und Rechtsberatung, EY Schweiz.

Das Schweizer Steuerrecht und die Schweizer Steuerkultur haben in den vergangenen Jahrzehnten einen wesentlichen Beitrag zum erfolgreichen Wirtschaftsstandort und zu gesunden Staatsfinanzen beigetragen. Es muss deshalb ein vorrangiges politisches Ziel sein, diesen Standortvorteil beizubehalten und das Schweizer Steuersystem sowie die Schweizer Steuerkultur gezielt weiterzuentwickeln. Die Handlungsfreiheiten engen sich dabei aufgrund internationaler Initiativen zusehends ein. Umso mehr gilt es, den vorhandenen Spielraum auszunutzen, um weiterhin die Grundlage für einen erfolgreichen Wirtschaftsstandort sicherzustellen.

Die Auswirkungen der Pandemie

In der Schweiz wurden im Jahr 2020 rund 15 Milliarden Franken an «Corona-Ausgaben» getätigt und für das Jahr 2021 wurden bereits weitere 20 Milliarden Franken an Mitteln bewilligt. Der ordentliche Finanzhaushalt präsentiert sich jedoch – trotz Mindereinnahmen bei den direkten Steuern und der Mehrwertsteuer aufgrund der Corona-Pandemie – als fast ausgeglichen. Somit kann die Schweiz den Anstieg der Schuldenquote verkraften und es muss kein schneller Schuldenabbau erfolgen, der die wirtschaftliche Entwicklung negativ beeinträchtigen würde. Nichtsdestotrotz, der finanzpolitische Spielraum engt sich ein.

Es ist deshalb von zentraler Bedeutung auf politischer Ebene die richtige Priorisierung zu setzen. Die Umsetzung von Steuerreformen mit positiven volkswirtschaftlichen Folgen hat angesichts der aktuellen Lage an Bedeutung gewonnen und politische Partikularinteressen sollten nicht die Agenda der Steuerpolitik diktieren. Vor dem Hintergrund der raschen Entwicklungen im Ausland besteht eine nie dagewesene Dringlichkeit.

Abkehr vom multilateralen Konsens?

International steigt der Druck, zusätzliche Einnahmequellen zu erschliessen, um die Defizite in der Staatskasse zu mindern. Dabei steht das vieldiskutierte Projekt der OECD zur «Besteuerung der digitalen Wirtschaft» (auch BEPS 2.0 genannt) im Fokus. Die Bezeichnung des Projekts ist jedoch irreführend, denn es geht dabei um ganz grundsätzliche Fragen der internationalen Verteilung des Gewinnsteuerkuchens.

Während bei den bisherigen Initiativen der OECD zur Beseitigung von Gewinnverlagerungen und schädlichen Steuerpraktiken primär nicht besteuertes Steuersubstrat oder Steuersubstrat von kleineren Staaten wie der Schweiz umverteilt wurde, sind bei diesem Projekt auch die grossen Industriestaaten betroffen, insbesondere die USA als Heimatstaat vieler grosser Internetkonzerne. Es zeigt sich, dass es bei dieser Initiative der OECD viel schwieriger ist, einen politischen Konsens herbeizuführen. Ist das der Anfang einer generellen Abkehr vom multilateralen Konsens in Steuerfragen hin zu vermehrten unilateralen Lösungen und Isolationismus im Steuerbereich?

Handlungsbedarf in der Schweiz

Die Steuerpolitik muss langfristiges Wirtschaftswachstum fördern und nicht alle im Parlament diskutierten Steuerreformprojekte scheinen dieser Maxime zu folgen. In einem Umfeld einer zunehmenden Nivellierung der Gewinnsteuersätze zwischen Hochsteuerländern und steuerlich attraktiven Jurisdiktionen wie der Schweiz ist es wichtig, steuerliche Hindernisse zu beseitigen, um die Attraktivität des Standorts weiterhin zu erhalten. In diesem Kontext kommen Reformen in den Bereichen der Verrechnungssteuer, der Stempelabgaben und der Beseitigung von einigen «steuerlichen Ärgernissen» prioritäre Bedeutung zu.

Es ist sehr zu begrüssen, dass Bundesrat Ueli Maurer eine Expertengruppe beauftragt hat, Handlungsfelder zur Stärkung des Steuerstandorts zu identifizieren, um die «Rahmenbedingungen für den Privatsektor zu verbessern und die Schweiz als attraktiven Investitionsstandort zu positionieren». Auch wenn der vor kurzem veröffentlichte Bericht der Expertengruppe nur grundsätzliche Leitsätze und Handlungsfelder umreisst, dient er als gute Grundlage und Richtschnur, um zukünftige Diskussionen über einzelne Steuerreformprojekte einzuordnen. In einer zukunftsgerichteten Steuerpolitik müssen Nachhaltigkeits- und Transparenzüberlegungen ebenfalls eine zentrale Rolle spielen. Dabei soll analysiert werden, wie der Bund nachhaltige Investitionen fördern kann. Steuerliche Entlastung von nachhaltigen Finanzprodukten oder ökologischen Lenkungsabgaben sind mögliche Ansatzpunkte. Dies kann für die Schweiz eine Chance darstellen, eine international führende Rolle in Bezug auf Nachhaltigkeit einzunehmen.

Steuerkultur und Digitalisierung

Nebst einem attraktiven Besteuerungssystem ist für die Schweiz wichtig, das historisch gute Steuerklima in die Zukunft zu führen. Für einen attraktiven Wirtschaftsstandort kommt der effizienten Zusammenarbeit zwischen Steuerpflichtigen, Behörden und Beratern sowie der Rechtssicherheit und Planbarkeit in Steuerfragen elementare Bedeutung zu.

Vor knapp 20 Jahren wurde deshalb ein Verhaltenskodex erarbeitet, der die Grundsätze und Spielregeln zwischen Steuerverwaltungen, Steuerpflichtigen und Steuerberatern festhält. Eine Trägerorganisation bestehend aus der Eidgenössischen Steuerverwaltung, der Schweizerischen Steuerkonferenz und EXPERTsuisse hat das Institut für Finanzwirtschaft und Finanzrecht (IFF) an der Universität St. Gallen (HSG) beauftragt, den Verhaltenskodex zu überarbeiten. Die Publikation wird in Kürze erfolgen. Gerade in Zeiten von Unsicherheit ist ein konstruktives, auf gegenseitiges Vertrauen basierendes Verhältnis zwischen Behörden, Steuerpflichtigen und deren Beratern fundamental und stellt einen wesentlichen Standortvorteil dar.

Die Corona-Pandemie hat vielen Unternehmen und Verwaltungen einen «Crash-Kurs» in Digitalisierung beschert. Vor diesem Hintergrund hat EXPERTsuisse in Zusammenarbeit mit anderen Verbänden und Organisationen die «allianz e-tax schweiz» gegründet, um hierzulande einen aktiven Beitrag zur schrittweisen Digitalisierung der Steuerprozesse zu leisten. Dabei geht es insbesondere um die rein formelle Harmonisierung der kantonalen Unterschiede, die die schweizweite Effizienz bei der Steuerveranlagung massiv beeinträchtigen und für IT-Unternehmen eine unnötige Hürde für Digitalinnovationen darstellen.

Nach der Reform ist vor der Reform

Die Steuerpolitik der Schweiz spielt eine zentrale Rolle für den Fortschritt in unserem Land. Es gilt, konsequent den Weg weiter zu beschreiten. Mit der im Mai 2019 vom Volk bestätigten Steuerreform (STAF) wurde nach jahrelangem Tauziehen ein guter Kompromiss gefunden. Die Diskussion betreffend Steuerreform hatte sich aber ausschliesslich auf einige wenige Themen bezüglich Gewinnsteuern von Unternehmen beschränkt. Es gilt nun dringend anstehende Revisionen unter Berücksichtigung der internationalen Entwicklungen anzugehen. Reformen, die mittel- bis langfristig den Wirtschaftsstandort stärken und die Wohlfahrt in der Schweiz sicherstellen, müssen nun rasch vorangetrieben werden.

Quelle: Gentsch, Daniel: Schweizerische Steuerlandschaft nach Corona, in: NZZ-Verlagsbeilage, 12.03.2021