Mit Urteil vom 10. August 2021 (A-2587/2020) präzisiert das Bundesverwaltungsgericht seine bisherige Rechtsprechung zur Behandlung von Gutscheinen dahingehend, dass die mehrwertsteuerliche Qualifikation differenziert nach Wert- und Leistungsgutscheinen zu erfolgen hat.
Gemäss bisheriger bundesverwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung wie auch gemäss publizierter Praxis der ESTV gilt der Verkauf von Gutscheinen als reiner Tausch von Zahlungsmitteln und ist mangels entgeltlichem Leistungsaustausch eine für Mehrwertsteuerzwecke irrelevante Transaktion. Für eine Leistung im mehrwertsteuerlichen Sinne bedarf es der Einräumung eines verbrauchsfähigen, wirtschaftlichen Wertes; Zahlungsmittel erfüllen die Voraussetzung der Verbrauchsfähigkeit nicht. Erst mit dem Einlösen des Gutscheins erbringt der Anbieter eine Leistung im Sinne des Mehrwertsteuerrechts, die nach allgemeinen Grundsätzen der Mehrwertsteuer unterliegt.
Neue Differenzierung mit Auswirkung auf den Zeitpunkt der Steuerentstehung
In seinem jüngsten Urteil stellt das Bundesverwaltungsgericht nun klar, dass der bislang in Urteilen verwendete Begriff «Gutschein» allein Wertgutscheine, nicht aber Leistungsgutscheine umfasse. Wertgutscheine berechtigen den Inhaber, Forderungen anstelle von gesetzlichen Zahlungsmitteln durch Abgabe der Gutscheine zu begleichen; ihnen käme demzufolge Zahlungsmittelfunktion zu.
Mit dem Verkauf eines sogenannten Leistungsgutscheins hingegen verpflichtet sich der Anbieter, eine bestimmte Leistung zu erbringen (beispielsweise eine Hotelübernachtung, ein Frühstück, eine Massage). Somit kommt dem Leistungsgutschein ein verbrauchsfähiger, wirtschaftlicher Wert zu und qualifiziert – im Gegensatz zum Wertgutschein – als Leistung im mehrwertsteuerlichen Sinn. Damit entsteht die Mehrwertsteuer nach allgemeinen Grundsätzen im Zeitpunkt der Rechnungstellung, also grundsätzlich im Zeitpunkt des Verkaufs des Leistungsgutscheins (Abrechnung nach vereinbartem Entgelt) bzw. im Zeitpunkt des Zahlungseingangs (Abrechnung nach vereinnahmtem Entgelt), nicht aber im Zeitpunkt des Einlösens des Gutscheins. Beim Verkauf von Leistungsgutscheinen kann die Mehrwertsteuer folglich zeitlich weit vor der Mehrwertsteuer beim Verkauf von Wertgutscheinen entstehen. Diese Differenzierung birgt für den Leistenden ein substanzielles Zinsrisiko.
Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass die ESTV in einigen uns bekannten Fällen den Verkauf von Gutscheinen, in denen sich der Anbieter zur Erbringung einer konkreten Leistung verpflichtet, auch in der Vergangenheit bereits als steuerbaren Leistungsaustausch qualifiziert und im Zeitpunkt der Vorauszahlung versteuert hat. Insbesondere hat die ESTV auch die mehrwertsteuerliche Qualifikation von Kryptocoins von ihrer Funktionalität abhängig gemacht (Differenzierung zwischen Zahlungs- und Nutzungscoins siehe MWST-Info Nr. 04 «Steuerobjekt»).
Abgrenzungsfragen und Gestaltungsspielräume
Mit der Unterscheidung zwischen Wert- und Leistungsgutscheinen wird der konkreten Ausgestaltung von Gutscheinen wesentliche Bedeutung zukommen und den Besteuerungszeitpunkt massgeblich beeinflussen. Die Steuerverwaltung hatte 2019 einen Gutschein, ausgestellt auf ein Frühstück für 4 Personen, aber mit dem Zusatz versehen «Dieser Gutschein kann auch für andere Leistungen eingesetzt werden» als Wertgutschein qualifiziert. Ob diese Einstufung nach dem vorgenannten Urteil Bestand haben wird, bleibt zu prüfen.
Gemäss Urteilsbegründung unterschieden sich die Gutscheinarten in wirtschaftlicher Hinsicht im Wesentlichen dadurch, dass der Wertgutschein ein allfälliges Teuerungsrisiko auf den Leistungsempfänger übergehen lässt, während Preisschwankungsrisiken bei der Ausgabe eines Leistungsgutscheins beim Leistungserbringer verbleiben. Demzufolge wäre dem vorgenannte Frühstücksgutschein eher Charakter eines Leistungsgutscheins zuzuschreiben. Allerdings wird sich, solange die Leistung nicht näher bestimmt werden kann, regelmässig die Frage nach dem massgeblichen Steuersatz stellen.
Wie genau Gutscheine auszugestalten sind, um als Leistungs- oder Wertgutschein zu qualifizieren, wird im Einzelfall geprüft werden müssen.
Handlungsbedarf
Gutscheine erfreuen sich in vielen Branchen grosser Beliebtheit, sei es in der Hotellerie, der Gastronomie, bei Bergbahnen oder in den Bereichen Freizeit, Sport, Wellness und Beauty oder auch im Einzelhandel. Wir empfehlen allen Steuerpflichtigen, die regelmässig Gutscheine anbieten, die mehrwertsteuerliche Behandlung unter besonderer Berücksichtigung des jüngsten Bundesverwaltungsgerichtsentscheids zu prüfen und gegebenenfalls Gestaltungsspielräume zu analysieren.
English version
VAT treatment of vouchers – the Federal Administrative Court clarifies its earlier case law
In its decision dated 10 August 2021 (A-2587/2020), the Federal Administrative Court clarifies its earlier case law on the treatment of vouchers to the effect that the VAT qualification must distinguish between the sale of value and performance vouchers.
According to earlier case law of the Federal Administrative Court as well as according to the published practice of the SFTA, the sale of vouchers is considered to be a mere exchange of means of payment and, in the absence of a supply for consideration, is an irrelevant transaction for VAT purposes. A supply relevant for VAT requires, that a consumable, economic value is granted; means of payment do not fulfill the requirement of consumability. Only when the voucher is redeemed the supplier performs a supply within the meaning of VAT law – subject to VAT according to general principles.
New differentiation affecting the tax point
In its latest decision, the Federal Administrative Court now clarifies that the term “voucher”, which has been used in earlier decisions, only covers value, but not performance vouchers. Vouchers of value entitle the holder to settle claims instead of legal means of payment by handing over the vouchers; they therefore qualify as non-consumable cash equivalent.
With the sale of a so-called performance voucher, on the other hand, the provider commits to render a specific service/delivery (for example, an overnight stay in a hotel, breakfast, a massage). Given this, the performance voucher is assigned a consumable, economic value and qualifies – in contrast to the value voucher – as a supply in the sense of VAT. Thus, according to general principles, VAT arises at the time of invoicing, i.e. basically upon the sale of the performance voucher (VAT reporting based on consideration agreed) or upon receipt of payment (VAT reporting based on consideration collected), but not upon the redemption of the voucher. In the case of the sale of performance vouchers, VAT can therefore arise well before the VAT on the sale of value vouchers. This differentiation entails a substantial interest risk for the supplier.
For the sake of completeness, it should be noted that in some cases known to us, already in the past the SFTA has qualified the sale of vouchers, in which the supplier committed to provide a clearly specified service, as a taxable supply with its tax point triggered with the advance payment. In particular, the SFTA has also made the VAT qualification of crypto coins subject to their functionality (for differentiation between payment and utility coins, see VAT Info No. 04 “Steuerobjekt”).
Open classification issues and room for VAT planning
With the differentiation between value and performance vouchers, the concrete design of vouchers will now be significant and will decisively influence the time of taxation. In 2019, the tax administration had qualified a voucher, issued for a breakfast for 4 persons, but with the comment “This voucher can also be used for other services” as a value voucher. Whether this classification will be supported after the aforementioned court decision remains to be verified.
According to the decision’s reasoning, from an economic perspective, the two types of vouchers essentially differ in that value vouchers transfer any increase in price risk to the recipient, while price fluctuation risks remain with the service provider when a performance voucher is issued. Accordingly, the aforementioned breakfast voucher would rather have the character of a performance voucher. However, as long as the supply cannot be determined in more detail, the question of the relevant tax rate will regularly arise.
How exactly vouchers are to be designed to qualify as a performance or value voucher will have to be examined on a case-by-case basis.
Need for action
Vouchers are very popular in many industries, be it in the hotel industry, gastronomy, mountain railroads or in the areas of leisure, sports, wellness and beauty, or even in retail. We recommend that all taxpayers who regularly offer vouchers review their VAT treatment with particular focus on the latest Federal Administrative Court decision and analyze any room for VAT planning.